2015
Ein Thema beschäftige vor allem unsere Söhne. Grossmutter hatte Alzheimer, ein Grossonkel ebenfalls und nun der eigene Vater. Ich kann sehr gut verstehen, dass die Gedanken der Vererbbarkeit sich breitmachten und sie sehr beunruhigten. Als Laie kann dazu wenig gesagt werden, darum haben wir ein Gespräch in der UPD, mit dem behandelnden Arzt vereinbart.
Der Arzt erklärte, dass sich diese Frage nicht eindeutig beantworten lasse. Die seltene, in jungen Jahren auftretende Form von Alzheimer, ist meistens vererbt. Tritt die Krankheit jedoch später auf, ist weniger klar welche Rolle die genetische Veranlagung spielt. Das gilt auch für andere Formen von Demenz. Die vererbbare Alzheimererkrankung tritt nur etwa bei 1 % aller Fälle auf. Da die Grossmutter und der Grossonkel erst mit über 70 Jahren erkrankt waren, beruhigte dies ein wenig. Zudem hat Peter eine Mischform, also auch vaskuläre Demenz, die eher nicht vererbt wird. Grundsätzlich könnte ein Gentest gemacht werden, aber die Frage stellt sich natürlich, ob mit dem Resultat dann auch umgegangen werden könnte. Unsere Söhne waren froh für das Gespräch, und wie sie sagten, auch weitgehend beruhigt.
Informieren wir das Umfeld?
Nicht selten schämte sich Peter dafür, dass sein Gedächtnis ihn immer öfter im Stich liess. Es frustete ihn und darum haben wir (also eigentlich ich) beschlossen, dass wir unser Umfeld informieren. Das war eine grosse Entlastung! Wir waren offen und erklärten mögliche Symptome, sprachen über mögliche Verhaltensweisen und erklärten auch, wie das Umfeld eventuell darauf reagieren könnte. Schliesslich mussten wir ja auch erklären warum Peter nicht mehr arbeitet und «nur» noch Zuhause ist. Die nächsten Verwandten und Freunde informierte ich per Telefon, die anderen mit einer langen E- Mail. Ebenfalls habe ich meinen Arbeitgeber informiert. Die Reaktionen waren durchwegs positiv und viele haben uns Mut zugesprochen. Peter war eher zurückhaltend, lieber wäre ihm gewesen möglichst wenig über die Krankheit zu sagen. Die grösste Entlastung brachte es wahrscheinlich mir selber.
Der beste Umgang am Anfang der Demenz
Ich habe gemerkt, dass viele Kollegen nicht genau wussten, wie reagieren, oder welches nun die richtigen Worte sind. Das hat sich aber mit der Zeit gelegt. Sehr gefreut hat es Peter, dass am Anfang ab und zu ein Arbeitskollege vor der Türe stand, um ihn zu besuchen.
Ich glaube der richtige Umgang im Anfangsstadium ist Natürlichkeit und Geduld. Ihm nicht ins Wort fallen und aktiv zuhören. Wichtig war, seine Sätze nicht für ihn zu Ende zu bringen. Es machte keinen Sinn Peter in eine Diskussion zu verwickeln. Er konnte dann oft seine Meinung und seine Argumente nicht darlegen. Ruhig mit ihm sprechen war gut und ihm das Gefühl geben, dass er ernst genommen wird.
Pläne
Obwohl Peter nicht gerne über seine Demenz und den dazugehörenden Einschränkungen sprach, machte er immer noch Pläne. Da seine Mobilität völlig weg war, wollte er verständlicherweise nun reisen. Schon lange war es unser Wunsch Südamerika zu besuchen. Wir haben es immer verschoben und gedacht, nach der Pensionierung haben wir Zeit und machen das auf jeden Fall. Unser bevorzugtes Land: Argentinien.
Er war Feuer und Flamme und wollte sofort buchen. Ich natürlich auch, aber da schlichen sich schon einige Gedanken ein. Ist das finanziell machbar? Wie kommt Peter mit der langen Reise zurecht? Wird er noch alles aufnehmen können? Wird ihm das Ganze nicht zu viel und die Eindrücke überfordern ihn?
Und ich? Kann ich das alleine mit ihm bewältigen? Habe ich überhaupt auch ein wenig Ferien und komme auf meine Kosten?
Ich beschloss mich mal umzusehen und geeignete Reisen herauszusuchen. Klar war, dass wir nicht auf eigene Faust, sondern an einer geführten Reise teilnehmen würden.
Plötzlich fügte sich alles zusammen, die geeignete Reise war schnell gesichtet, eine gute Freundin würde uns begleiten, und ein wenig Geld konnten wir vom Sparbuch locker machen. Wir würden Ende November und Dezember 2015 in den Sommer nach Argentinien reisen! Welch Abenteuer erwartete uns und wir freuten uns riesig!

Ausnahmezustand Coronavirus
Das Coronavirus beschäftigt uns natürlich auch diese Woche. Peter ein Risikopatient? Ist das wirklich so? Ja, es ist so und zwar nicht wegen der Demenz an sich, sondern weil das Verhalten von Demenzkranken ein Risiko darstellt. Peter versteht nicht mehr, was ein Virus ist und was im Moment um uns herum geschieht. Peter kann sämtliche Hygienemassnahmen selber nicht mehr einhalten. Das bedeutet, dass ich die Massnahmen treffen muss.
Wir sind uns im Alltag sehr nahe. Ich pflege ihn mit duschen, rasieren, anziehen, Zähneputzen, Toilettengang und ich gebe ihm auch das Essen ein. Ich bin mir bewusst, dass durch diese Nähe das Virus sehr schnell auf ihn übergehen könnte. Natürlich kenne ich alle nötigen Regeln. Peter ist auch sehr sturzgefährdet, ein weiteres Risiko, das ich im Auge behalten muss. Stürzen und sich verletzen, im schlimmsten Fall heisst Einweisung ins Spital! Besser nicht. Die Verantwortung für ihn lastet ziemlich schwer auf mir.
Der Notfallplan
Wenn ich nicht mehr in der Lage wäre ihn selber zu betreuen, habe ich einen Notfallplan erstellt. Ich habe vieles schriftlich aufgezeichnet, oder bereitgelegt. Pflegehinweise, seine Medikamentenabgabe, seinen Tagesablauf, wichtige Kontaktpersonen, und auch seine Patientenverfügung.
Dazu habe ich eine gute Freundin, eine meiner Assistenzpersonen angefragt, als Ersatzbetreuung. Sie erklärte sich sofort bereit im Notfall einzuspringen. Welche Erleichterung! Jetzt hoffen wir und ich bin zuversichtlich, dass all unsere Vorbereitungen nicht nötig sind. Jetzt heisst es durchhalten, den Tag «sinnvoll» nutzen, aber trotzdem, den kommenden Wochen sehe ich mit gemischten Gefühlen entgegen.
