Wie sieht es in Peter aus?
Niemand weiss wirklich, wie es in einer an Demenz erkrankten Person aussieht, denn nur im Anfangsstadium der Krankheit konnte sich Peter noch selbst mitteilen. Später müssen wir Angehörigen erfühlen, wie es dem kranken Menschen geht, was er benötigt und was ihm guttut.
Für uns Betreuende bedeutet das, dass wir uns in die Welt des Kranken begeben müssen, um von ihnen verstanden zu werden. Um in Kontakt mit Peter zu bleiben, muss ich mich in seine Situation einfühlen und auf diese Weise mit ihm in Verbindung bleiben.
Oft wünsche ich mir ich könnte seine innere Welt verstehen und ihn noch besser unterstützen.

Ein Experiment
Ich mache mich nun auf die Reise, mache mir eine Vorstellung, wie es in ihm aussieht, vielleicht komme ich der Realität ziemlich nahe, vielleicht aber auch überhaupt nicht…
Ein Tag im Leben von Peter…
Ich erwache und weiss nicht wo ich bin, kommt bald jemand, vielleicht meine Mutter und holt mich aus dem Bett?
Warum ist wohl alles nass und kalt? Ich rufe, und eine Frau kommt ins Zimmer, irgendwie kommt sie mir bekannt vor, meine Mutter ist es nicht. Ich glaube es ist Regina, aber wer ist das bloss? Meine Frau? Ob es heute die liebe Regina, oder die ungeduldige Regina ist?
Sie nimmt die Decke weg und versucht mich dazu zu bewegen, aufzustehen. Ich mag aber nicht und weiss auch nicht genau, was ich machen soll. Wo bin ich da hingeraten? Es riecht unangenehm und mir ist kalt und so stehe ich nun doch auf. Ich lasse mich von der (un)bekannten Frau ins Badezimmer führen. Nun zerrt sie an meiner Pyjamahose und will mich ausziehen. So was ist natürlich unanständig und ich wehre mich. Irgendwie schafft sie es und plötzlich steh ich ohne Hosen da. In die Dusche soll ich? Niemals! Ich habe erst vor kurzem geduscht und überhaupt weiss ich nicht genau wie ich den Rand der Dusche überwinden, meinen Fuss heben und in die Dusche gehen soll. Sie zerrt und stösst und redet auf mich ein. Plötzlich kommt Wasser, das Wasser ist unangenehm und ich wehre mich erneut. Sie lächelt mich trotzdem an und duscht mich. Wasser über den Kopf und Haare waschen habe ich gar nicht gern. Ich packe sie mal etwas fester und drücke ihren Arm. So nicht! Merkt sie denn nicht, dass sie aufhören soll?
Endlich fertig! Ich friere und nun werde ich abgerubbelt und die Frau zieht mir komische Pants an. Auf einem Bein stehen ist gar nicht so einfach und ich habe etwas Angst, dass ich umfallen könnte. Die Hosen folgen, das T- Shirt und der Pullover auch.
Ahh, jetzt weiss ich es wieder, es ist Regina, meine Frau, sie habe ich vor kurzem geheiratet?
Nun geht’s zum Frühstück und mir werden Brotstücke und eine Banane auf einem Teller hingelegt. Ich sehe plötzlich so schlecht und finde meinen Mund nicht. Beim Trinken, zittert meine Hand und ein grosser Teil des Kaffees, verschütte ich über meinen Pullover. Regina guckt böse und knirscht mit den Zähnen.
Jetzt werde ich schon wieder ins Bad geführt und Regina schiebt mir eine Zahnbürste in den Mund. Eklig! Rasiert werde ich nun auch, dabei wollte ich mir immer einen Bart wachsen lassen. Im Spiegel sehe ich jemanden. Wer ist dieser Kerl, ein fremder Mann im Badezimmer? Der schaut aber nicht nett aus.
Endlich werde ich in meinen Stuhl geführt und ich habe Ruhe. Nun kann ich mich ganz der Arbeit widmen.
Ist da drüben nicht mein Vater? Er ruft mich, holt den Traktor und will das Heu wenden. Warte, warte rufe ich zurück, ich will mit, der Duft von Heu steigt mir in die Nase. Ich darf auf den Traktor steigen und bin so stolz, dass ich dabei sein darf. Mein Bruder wird sicher neidisch sein. Wo stand bloss unser Bauernhaus? Ich überlege und überlege, es fällt mir aber nicht ein.
Die Frau ist wieder da. Ich glaube Regina? Sie wuselt mit dem Staubsauger um mich herum, der Lärm erinnert mich an mein Motorrad. Ich spüre den Wind um mich, die warme Luft und den Duft von Ginster.
Oh, jetzt weiss ich es wieder, ich bin in der Provence und suche einen Zeltplatz. Ich bin müde und fahre und fahre, aber ein Schild sehe ich nirgends. Langsam wird es dunkel und ich verzweifle, wo soll ich bloss schlafen diese Nacht? Ich muss suchen und finde nichts. Plötzlich poltert es und ich finde mich auf dem Boden wieder, lang ausgetreckt und alles tut mir weh. Hatte ich einen Unfall? Regina und noch eine Frau, irgendwie kommt auch sie mir bekannt vor, stürzen zu mir.
Ich kann nicht mehr aufstehen, das heisst, ich weiss nicht genau wie ich das anstellen muss. Sie zerren und ächzen und heben mich auf einen Stuhl. Ich bin ganz zittrig und ich kann meine Arme nicht ruhig halten. Nun werde ich untersucht, alles scheint ganz zu sein, wie gut tut mir die Berührung. Regina streicht mir über den Kopf und drückt mich kurz… das tut mir so wohl.
Etwas später kommt ein junger Mann in die Stube. Schau, da ist Adrian. Adrian? Ja, Adrian dein Sohn. Ich habe einen Sohn? Ist ja kaum möglich so jung wie ich bin, das muss eine Verwechslung sein. Du hast noch einen zweiten Sohn Michael. Und du bist sogar Grossvater geworden vor kurzem. Jetzt wollen sie mich veräppeln, Vater, Grossvater, ich?
Ich fühle mich leer und traurig, was ist bloss mit mir los, wo bin ich, wer sind die Leute, wie heisse ich? Eine unbändige Verzweiflung packt mich, ich stürze ins Bodenlose. Am besten schimpfe ich mal laut, vielleicht wird es dann wieder gut.
Regina nimmt meine Hand und drückt sie ganz fest…………bald geht es mir besser.
Am Abend, nach dem Essen, sitzen wir noch im Wohnzimmer, der Fernseher läuft. Ich mag nicht stillsitzen und laufe hin und her. Regina? Führt mich wieder zu meinem Stuhl, aber ich bin unruhig und stehe gleich wieder auf. Im Fernseher läuft irgendetwas und die Personen machen mir Angst. Sie reden so laut und sind unzufrieden mit mir.
Ich laufe weiter hin und her und suche meine Eltern, ich möchte nach Hause, da bin ich geborgen….
Regina nimmt meine Hand, führt mich ins Schlafzimmer, hilft mir beim Ausziehen und hilft mir auch ins Bett. Hier fühle ich mich wohl und ich habe warm. Ich werde zugedeckt, Regina? sitzt noch ein wenig an meinem Bett, hält meine Hand und streicht mir über den Kopf. Nun werde ich ruhig und schlafe bald ein…

Dieses Gedicht berührt mich immer wieder. Peter, DU bist Teil von unserer Welt!
Im Kopf sind schwarze Wolken,
das Denken fällt so schwer.
Reden, machen, laufen
kann ich bald nicht mehr.
Bitte bleibe bei mir,
reiche mir die Hand.
Lass mich nicht alleine
im unbekannten Land.
Sing mit mir Lieder,
tu‘ was mir gefällt,
denn ich bin noch immer
Teil von dieser Welt.
Quelle: Unbekannt